Neurologische Erkrankungen beim Pferd – Teil 2: Headshaking - Wenn die Nerven verrückt spielen
- Jessica Münch
- 31. Mai
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 5. Juni
In diesem zweiten Teil unserer Blogreihe zu neurologischen Erkrankungen beim Pferd, beleuchten wir das Phänomen Headshaking: Was steckt dahinter, wie kannst du es erkennen – und wie kannst du deinem Pferd helfen, mit dieser Herausforderung umzugehen?
Headshaking - Wenn die Nerven verrückt spielen und es Probleme beim Reiten macht.
Wenn Pferde plötzlich den Kopf reißen, schlagen oder unruhig wirken, wird das oft missverstanden: “Der will nicht”, “Der spinnt wieder”, “Der braucht mal eine klare Ansage.” Doch was, wenn diese Reaktionen keine Unart, sondern ein Hilferuf des Nervensystems sind?
Headshaking ist eine neurologische Störung, die viele Pferdebesitzer:innen ratlos macht. Die Symptome wirken unkontrolliert, unerklärlich – und das Verhalten scheint von außen kaum zu beeinflussen. Doch unter der Oberfläche geschieht viel: Eine Reizverarbeitung, die aus dem Gleichgewicht geraten ist, eine Fehlsteuerung im Kopf, die das Pferd nicht einfach abstellen kann.
Inhaltsverzeichnis:
1. Was ist Headshaking?
Headshaking ist eine neurologisch bedingte Störung, bei der das Pferd unwillkürlich und wiederholt mit dem Kopf schlägt. Die Bewegungen wirken plötzlich, unkontrolliert und können für Pferd und Reiter gleichermaßen belastend sein.
Wichtig zu verstehen: Es handelt sich nicht um ein Problem der Erziehung oder Ungehorsam, sondern um eine Fehlsteuerung des Nervensystems – vergleichbar mit einem Zucken oder Reflex, das das Pferd nicht kontrollieren kann.
Headshaking wird als periphere neurologische Reizstörung eingestuft – nicht als klassische Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS = Gehirn + Rückenmark). Das heißt:
Das Gehirn selbst ist strukturell in der Regel nicht geschädigt
Aber: Die Verarbeitung von Signalen durch sensible Hirnnerven ist gestört
Es handelt sich um eine Art „Fehlschaltung“ der sensorischen Informationsverarbeitung
Anatomie & neurologischer Hintergrund – was passiert beim Headshaking wirklich?
Headshaking betrifft vor allem die sensorischen Gesichtsnerven, insbesondere den 5. Hirnerv, Nervus trigeminus – einen der wichtigsten Hirnnerven beim Pferd. Innerhalb dieses Nervensystems spielt vor allem der Nervus maxillaris, ein Ast des Trigeminus, eine zentrale Rolle. Dieser verläuft durch sensible Strukturen im Bereich des Gesichts, der Nüstern und der Oberkieferregion. Bei vielen betroffenen Pferden liegt eine Überempfindlichkeit (Hypersensitivität) dieses Nervs vor – selbst schwache Reize wie Luftzug oder Licht können extreme, unwillkürliche Reaktionen auslösen.
Doch auch strukturelle Probleme im Bereich der Halswirbelsäule können zur Reizung oder Kompression von Nerven führen. Insbesondere das 2. Kopfgelenk (C1-C2) Atlantoaxial-Gelenk, spielt hier eine wichtige Rolle. Einengungen, sogenannte Stenosen durch knöcherne Veränderungen oder Verspannungen in diesem Bereich, können Nervenbahnen beeinträchtigen und neurologische Symptome wie Headshaking auslösen oder verstärken.
Ein weiterer möglicher Einflussfaktor ist die Nackenbeule (Region C0-C2, zwischen Occiput und 2. Halswirbel), die bei chronischen Entzündungsprozessen zu einer Verknöcherung des Nackenbandes Ligamentum nuchae, führen kann. Diese Veränderungen können erheblichen Druck auf umliegende Nervenstrukturen ausüben – und somit neurologische Auswirkungen bis ins Gesicht haben.
Auch das oft übersehene Kiefergelenk Temporomandibulargelenk, kann durch funktionelle Störungen wie eine CMD Craniomandibuläre Dysfunktion, eine Rolle spielen. Fehlstellungen, muskuläre Dysbalancen oder Schmerzen in diesem Bereich können die Gesichtsinnervation stören und Reizüberflutungen auslösen. Mehr dazu findest du in dem eigenen Blogbeitrag- CmD - Craniomandibuläre Dysfunktion beim Pferd.
Diese anatomischen Zusammenhänge zeigen: Headshaking ist kein einfaches Symptom, sondern oft das Resultat eines komplexen Zusammenspiels aus neurologischen, strukturellen und funktionellen Faktoren – weshalb eine sorgfältige, ganzheitliche Diagnostik so wichtig ist.
2. Symptome: Wie äußert sich Headshaking?
Die Symptome variieren, treten aber häufig in bestimmten Situationen verstärkt auf:
Kopfschlagen oder -schütteln, oft heftig und wiederholt
Hochreißen des Kopfes, besonders unter dem Reiter
Scheuern der Nase oder Reiben an Gegenständen
Hustenartige Laute oder Nüsternflattern
Plötzliche Bewegungsabbrüche oder Unruhe
Typisch ist, dass die Beschwerden beim Reiten, bei Sonne, Wind, oder Lichtverhältnissen zunehmen – sogenannte triggende Reize.
3. Die Ursache: Störung im Nervensystem
Im Zentrum steht der Nervus trigeminus, ein Hirnnerv, der u. a. das Gesicht des Pferdes versorgt. Bei betroffenen Pferden reagiert dieser Nerv überempfindlich auf normale Reize, z. B. Luftbewegungen oder Licht – das Gehirn wertet diese Signale fälschlich als Schmerzreiz oder „Bedrohung“.
Der Nervus trigeminus ist der fünfte Hirnnerv und der entscheidende Nerv beim Headshaking. Er ist der größte sensorische Nerv des Kopfes und besteht aus drei Hauptästen:
Nervus ophthalmicus – versorgt Stirn, Augenregion, Teile der Nase
Nervus maxillaris – versorgt den Oberkiefer, Nüstern, Gesicht seitlich
Nervus mandibularis – versorgt Unterkiefer, Kaumuskulatur
Beim Headshaking ist insbesondere der Nervus maxillaris betroffen, da er sensibel für mechanische Reize (z. B. Luft, Bewegung, Berührung) im Bereich der Nüstern und der Schnauze ist. Diese Reize werden bei Headshaking-Patienten fälschlich als schmerzhaft interpretiert, was zu den unkontrollierten Kopfbewegungen führt.
Diese neurologische Fehlsteuerung führt zur unwillkürlichen Reaktion – dem Headshaking.
Wichtig: Nicht alle Headshaking-Pferde haben Schmerzen!
4. Formen des Headshakings
Idiopathisches Headshaking: ohne erkennbare Ursache
Photisches Headshaking: ausgelöst durch Lichtreize
Wind- oder Berührungssensitivität: Reiz durch Luftbewegung oder Hautkontakt
Sekundäres Headshaking: Folge anderer Erkrankungen (z. B. Stenosen, Entzündungen)
5. Diagnose: Wie wird Headshaking erkannt?
Die Diagnose ist komplex und erfolgt in mehreren Schritten:
Ausschluss anderer Ursachen (z. B. Zähne, Augen, Ohren, Parasiten, Sattel, Gebiss)
Beobachtung im Training & Alltag
Nasennetz-Test (wirkt bei vielen Pferden lindernd, Hinweis auf Trigeminus-Reizung)
Tierärztliche Untersuchung & ggf. bildgebende Diagnostik
Reaktion auf medikamentöse Therapie oder Umweltveränderung
6. Was kann man tun?
Es gibt keine Heilung, aber oft Linderung:
Nasennetze: Reduzieren mechanische Reize auf die Nüstern
Lichtbrillen oder Masken: Bei photischem Headshaking
Magnesium, Vitamin B12, Melatonin: Nahrungsergänzung zur Nervenberuhigung
Tierärztlich begleitete Medikamentengabe (z. B. Antiepileptika in schweren Fällen)
Stressreduktion, Ruhe, Routinen
Ein erfahrener Physiotherapeut oder Osteopath kann also ein wertvoller Teil im interdisziplinären Management deines Pferdes sein – nicht als „Heilung“, aber als stabilisierende, lindernde und unterstützende Maßnahme.
Deshalb ist gezielte Behandlung durch einen Therapeuten so wertvoll:
Mobilisation von Atlas und Axis kann den Druck auf Nervenbahnen reduzieren
Lösen von myofaszialen Spannungen entlastet gereizte Strukturen
Sanfte manuelle Therapie im Kiefer- und Genickbereich unterstützt bei CMD
Förderung der Durchblutung und des Lymphflusses wirkt entzündungshemmend
Ganzheitliche Körperarbeit verbessert Haltung und Selbstregulation
7. Rolle von Fütterung & Haltung
Eine ausgewogene Fütterung mit Fokus auf:
Magnesium (Nervenstabilität)
Vitamin B-Komplexe
Omega-3-Fettsäuren (entzündungshemmend)
Vermeidung von Stressfaktoren durch artgerechte Haltung
→ kann einen großen Unterschied machen, gerade bei sensiblen Pferden mit neurologischer Reizverarbeitung.
8. Leben mit einem Headshaking-Pferd
Headshaking ist keine einfache Diagnose – aber auch kein Todesurteil.
Was diese Pferde brauchen:
Verständnis statt Zwang
Anpassung statt Ablehnung
Empathie statt Missdeutung
Viele Pferde können – mit angepasstem Training, Haltung und Management – weiterhin ein gutes Leben führen. Auch Reiten ist in manchen Fällen wieder möglich.

9. Fazit: Verstehen statt verurteilen
Headshaking ist mehr als nur Kopfschlagen – es ist Ausdruck einer neurophysiologischen Störung, die das Pferd nicht willentlich steuern kann. Was auf den ersten Blick wie “Ungehorsam” wirkt, ist in Wirklichkeit ein hilfloses Reagieren auf Reize, die falsch im Gehirn ankommen.
Ein ganzheitlicher Blick ist entscheidend:
• Vom Trigeminusnerv über den Atlas, das Kiefergelenk bis zur Fütterung und Haltung – viele Faktoren beeinflussen das Nervensystem.
• Und gerade deshalb gibt es auch viele Wege, das Leben eines betroffenen Pferdes leichter und erträglicher zu gestalten.
Physiotherapie, Management, gezielte Fütterung, Entzündungsprophylaxe und Geduld sind dabei Schlüssel, die dein Pferd braucht – nicht Druck oder Missverständnis.
Denn am Ende ist Headshaking nicht nur eine Herausforderung für das Pferd – sondern eine Einladung an uns Menschen, genauer hinzuschauen, tiefer zu verstehen und empathischer zu handeln.
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