Blogreihe: Tragende Säule – der Fesseltrageapparat beim Pferd, Teil 1 - Der Fesselträger
- Jessica Münch
- 3. Juni
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 5. Juni
Der Begriff „Fesselträger“ wird oft missverstanden oder eng gefasst. Viele denken dabei einfach an die Fessel oder das Fesselgelenk – doch fachlich umfasst der Fesselträger ein komplexes Band- und Sehnensystem, das eng mit dem Fesselgelenk, dem Fesselringband und den Gleichbeinen (Sesambeinen) zusammenarbeitet.
Blogreihe -Tragenede Säule der Fesseltrageapparat- Übersicht:
Teil1:
Der Fesselträger – Aufbau, Funktion & Belastung
Grundlagen: Anatomie des Fesselträgers, seine Rolle im Bewegungsapparat, Belastungsmechanik
Erkrankungen des Fesseltrageapparats & Prophylaxe
Weitere typische Erkrankungen (Fesselträgerentzündung, Risse, Arthrose)
Prävention & Tipps für den Alltag
Teil 2:
Sesambeine & Sesamoidose – kleine Knochen, große Bedeutung
Anatomie der Gleichbeine
Funktion im Fesseltrageapparat
Was passiert bei Sesamoidose?
Früherkennung, Symptome und Diagnostik
Teil 3:
Hufgesundheit & Hufstellung – das Fundament für gesunde Bewegung
Anatomie und Funktion des Hufs
Bedeutung der Durchblutung für die Huf- und Bein-Gesundheit
Einfluss der Hufstellung auf Belastung und Fesselträger
Pflegetipps und Korrekturen bei Fehlstellungen
Teil 4:
Training & Belastung – der richtige Umgang mit dem Fesseltrageapparat
Belastungsmanagement und Trainingsgestaltung
Risikofaktoren vermeiden, Regeneration unterstützen
Inhaltsverzeichnis
1. Begriffsklärung: Fessel, Fesselgelenk und Fesselträger
Einführung
Was beschreibt der Begriff „Fesselträger“ - Viele denken dabei einfach an die Fessel oder das Fesselgelenk – doch fachlich umfasst der Fesselträger ein komplexes Band das eng mit einem Sehnensystem zusammenarbeitet, sowie mit dem Fesselgelenk, dem Fesselringband und den Gleichbeinen (Sesambeinen).
• Fessel: Umgangssprachlich wird mit „Fessel“ oft der untere Teil des Pferdebeins bezeichnet – vor allem der Bereich um das Fesselgelenk und den Huf.
• Fesselgelenk (Articulatio metacarpophalangea bzw. metatarsophalangea):
Ein echtes Gelenk zwischen dem mittleren und unteren Röhrbein und dem Fesselbein, das dem Pferd Beugung und Streckung ermöglicht.
• Fesselringband (Annular ligamentum):
Ein starkes, ringförmiges Band oberhalb des Fesselgelenks, das die Beugesehnen (insbesondere die tiefe Beugesehne) eng am Knochen hält und ein „Abgleiten“ verhindert.
• Fesselträger ( Interosseus medius):
Eigentlich bezeichnet der Begriff „Fesselträger“ den Interosseus medius – eine kräftige Band- und Sehnenstruktur, die auf der Rückseite des Fesselgelenks verläuft und die Gleichbeine umschließt.
Er fungiert als wichtiges Feder- und Stützsystem für das Fesselgelenk.
Das gesamte Konstrukt: So hängen die Teile zusammen
1. Fesselgelenk
– Bewegliches Gelenk zwischen Kronbein und Fesselbein
– Ermöglicht Beugung und Streckung
2. Fesselringband
– Liegt knapp oberhalb des Fesselgelenks
– Hält die Beugesehnen fest am Knochen
3. Beugesehnen
– Tiefe Beugesehne (Tendo flexor digitalis profundus)
– Oberflächliche Beugesehne (Tendo flexor digitalis superficialis)
– Verlaufen entlang des Fesselträgers, über das Fesselgelenk und inserieren am Huf
4. Fesselträger (Interosseus medius)
– Liegt zwischen Beugesehnen und Fesselgelenk auf der Rückseite
– Umschließt die Gleichbeine und sorgt für Stabilität
– Wirkt als federndes Element
5. Gleichbeine (Sesambeine)
– Zwei kleine Knochen, medial und lateral am Fesselgelenk
– In die Äste des Fesselträgers eingebettet
– Dämpfen Kräfte und verteilen Lasten
Warum diese Unterscheidung wichtig ist:
• Wenn Pferdebesitzer von „Fessel“ sprechen, meinen sie oft das gesamte „untere Bein“ oder den Bereich um das Fesselgelenk.
• Der Fesselträger ist aber nur eine Komponente eines sehr komplexen Systems, das zusammenarbeitet, um Beweglichkeit und Stabilität zu garantieren.
• Fehlfunktionen oder Verletzungen in einem Teil (z. B. Fesselringband) können Auswirkungen auf den gesamten Apparat haben.
2. Funktion des Fesselträgers im Gesamtbild
• Stabilisierung: Verhindert Überstreckung und „Durchtreten“ des Fesselgelenks
• Elastizität: Speichert Energie beim Aufsetzen und gibt sie beim Abstoßen wieder frei
• Kraftumlenkung: Überträgt Zugkräfte der Beugesehnen effizient auf den Huf
3. Belastung & Beanspruchung
• Schnelle Bewegungen, harte Böden, falsche Hufstellung oder Überlastung können das empfindliche Gleichgewicht stören.
• Das gesamte System aus Fesselgelenk, Fesselringband, Beugesehnen und Fesselträger ist darauf angewiesen, dass alle Strukturen harmonisch funktionieren.
• Werden einzelne Komponenten geschwächt oder verletzt, kann es zu Lahmheiten oder chronischen Erkrankungen wie der Sesamoidose kommen.
4. Erkrankungen des Fesselträgers – was kann schiefgehen?
Wenn das Pferd plötzlich lahmt - Der Fesselträgerschaden
Der Fesselträger ist einer der am häufigsten verletzten Strukturen im Pferdebein. Ursachen sind meist Überlastung, unpassende Hufstellung, Bodenverhältnisse oder altersbedingte Veränderungen. Hier ein Überblick über die häufigsten Probleme:
Fesselträgerschäden allgemein
Ein Fesselträgerschaden bezeichnet Verletzungen, Entzündungen oder degenerative Veränderungen am M. interosseus medius, dem tragenden Band-Sehnen-Komplex zwischen dem Röhrbein und den Gleichbeinen. Aber oft sind auch umliegende Strukturen wie die Fesselträgeräste, das Fesselringband oder sogar die Beugesehnen mit betroffen.
Besonders tückisch: Viele Schäden entstehen schleichend – durch Fehlbelastung, Überlastung, falsche Hufstellung oder zu frühes intensives Training.
Die ersten Anzeichen sind oft subtil: Taktunreinheiten, Leistungseinbußen, Unlust oder minimale Schwellungen.
Ein unbehandelter Fesselträgerschaden kann zur chronischen Lahmheit führen.
Typische Symptome:
Taktfehler oder Unregelmäßigkeiten, besonders im Trab
Schwellung im Fesselbereich, meist ohne starke Wärme
Empfindlichkeit bei Druck auf die Äste des Fesselträgers
Probleme beim Wenden, Springen oder auf hartem Boden
Leistungseinbruch oder “plötzliche Faulheit”
Übersicht verschiedener Erkrankungen des Fesseltrageapparates
Fesselträgerentzündung (Desmitis)
Akut oder chronisch
Ursache: Überdehnung, falsche Belastung oder stumpfes Trauma
Symptome: Schwellung, Wärme, Lahmheit, oft schleichender Beginn
Gefahr: Bei chronischer Reizung kommt es zu bleibenden Schäden und eingeschränkter Funktion
Verletzung der Fesselträgeräste
Die lateralen Äste, die an den Gleichbeinen ansetzen, können sich entzünden oder sogar reißen
Besonders bei Spring- und Vielseitigkeitspferden ein häufiger Befund
Diagnostisch oft schwierig, da tief liegend
Einrisse oder Teilrupturen
Können schleichend verlaufen, besonders bei wiederkehrender Überlastung
In der Regel mit deutlicher Lahmheit verbunden
Je nach Lage: langwierige Heilung und eingeschränkte Prognose
Chronische Degeneration / Faserumbau
Vor allem bei älteren Pferden oder durch dauerhaft falsche Belastung
Struktur verliert Elastizität → Sehne wird „verhärtet“
Oft nur noch begrenzte Belastbarkeit möglich
Fesselringbandsyndrom
Das Fesselringband schnürt bei Sehnenverdickung oder Narbenbildung die Beugesehnen ein
Die Beugesehnen oder der Fesselträger bekommen zu wenig „Raum“ und werden gequetscht
Führt zu Bewegungseinschränkung, Schmerzen und chronischer Lahmheit
5. Früherkennung – worauf Pferdebesitzer achten sollten
Der Fesseltrageapparat ist sehr anpassungsfähig – deshalb zeigt ein Pferd Lahmheiten oft erst spät. Umso wichtiger ist es, subtile Veränderungen zu erkennen:
• Veränderte Bewegung: Kürzerer Schritt, Taktfehler, Zögern beim Abfußen
• Schwellung ( Gallen ) oder Asymmetrie über dem Fesselgelenk
• Empfindlichkeit auf Druck – z. B. bei leichtem Fingerdruck an den Fesselträgerästen
• Unwilligkeit beim Wenden oder Lastaufnahme auf einer bestimmten Hand
• Leistungsabfall oder “Unlust” beim Reiten, besonders in Wendungen, auf hartem Boden oder beim Springen
6. Was kannst du vorbeugend tun?
Durchdachtes, langsames Training
Warum: Sehnen und Bänder brauchen Zeit zur Anpassung – Überforderung durch zu schnelles, zu intensives oder einseitiges Training führt zu Mikrotraumen.
Aufwärm- und Abkühlphasen einhalten
Langsamer Trainingsaufbau, v. a. bei jungen oder wieder antrainierten Pferden
Viel Abwechslung: Gelände, Longieren, Dressur, Stangenarbeit – kein einseitiges Reiten
Konditionsarbeit im Schritt, z. B. bergauf oder im Wasser (Aqua-Training)
Gutes Management & Haltung
Warum: Pferde mit schwacher Muskulatur, zu wenig Bewegung oder dauerhaft schlechter Haltung entwickeln schneller Probleme im Fesselträger.
Tägliche, freie Bewegung auf gutem Boden (Paddock, Weide)
Stressfreies Umfeld – psychischer Stress wirkt sich muskulär aus
Ausgewogene Fütterung, insbesondere bei Jungpferden → keine Überversorgung mit Energie
Muskulatur aufbauen, vor allem am Rücken und der Hinterhand zur Entlastung der Vorhand
Bodenschonung & Reitplatzpflege
Warum: Zu harter, tiefer oder unebener Boden wirkt wie ein Verstärker auf die Belastung des Fesselträgers.
Gepflegter Reitboden: weder tief noch rutschig
Vermeidung von hartem Asphalt oder gefrorenen Böden bei Training
Bei Geländeausritten: Tempo und Wegbeschaffenheit anpassen
Regelmäßige Kontrolle & frühe Reaktion
Warum: Viele Fesselträgerschäden beginnen schleichend. Wer früh reagiert, verhindert oft chronische Schäden.
Bewegungsbeobachtung: kleine Taktunreinheiten, „Unlust“, Wendeschwierigkeiten ernst nehmen
Palpation: regelmäßig die Fesselregion auf Schwellungen, Wärme, Druckempfindlichkeit abtasten
Physiotherapeutische Checks: 2–4× im Jahr, um Verspannungen und Dysbalancen zu erkennen
Sattelkontrolle: Falsche Passform kann Haltung und Schub beeinflussen
Zusätzliche unterstützende Maßnahmen
Kühlung nach starker Belastung (z. B. nach Geländetraining, Springen)
Bandagen & Gamaschen mit Maß: nur gezielt einsetzen, nicht dauerhaft
Ergänzungsfutter für Bindegewebe (z. B. mit MSM, Kollagen, Omega-3) – in Rücksprache mit dem Tierarzt
Körperarbeit & Massage: fördern Durchblutung und Lymphfluss im Fesselbereich
Wichtig:
Fesselträger-Probleme entstehen selten isoliert. Meist wirken mehrere Risikofaktoren zusammen:
z. B. schlechte Hufstellung + zu intensives Training + harter Boden
Ziel der Prophylaxe ist deshalb ganzheitliches Management – regelmäßig beobachten, kleinste Hinweise ernst nehmen, Training anpassen, Hufe optimieren.
Alles weitere zur Hufstellung & Hufgesundheit in Bezug auf den Fesseltrageapparat findest du im künftigen 3.Teil der Blogreihe - Tragende Säulen

7. Fazit
Der Fesselträger ist viel mehr als nur ein „Band“ – er ist Teil eines ausgeklügelten biomechanischen Systems, das das Pferdebein beweglich und stabil hält. Ein gutes Verständnis aller beteiligten Strukturen hilft dir, Probleme früh zu erkennen und deinem Pferd gezielt zu helfen.
Was folgt im nächsten Teil?
In dem weiteren Blogbeitrag erklären wir genau:
📌 Teil 2 – Sesambeine & Sesamoidose:
Warum die kleinen Gleichbeine oft miterkranken, wie man Sesamoidose erkennt und was man tun kann
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