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Muskelerkrankungen beim Pferd – Teil 2: PSSM verstehen und managen

Aktualisiert: 5. Juni

Willkommen zum zweiten Teil meiner Blogreihe über Muskelerkrankungen beim Pferd.

Nachdem wir im ersten Beitrag die Rhabdomyolyse auch bekannt als Kreuzschlag, besprochen haben, widmen wir uns nun einer Muskelkrankheit, die vor allem genetisch bedingt ist und bei vielen Pferden unerkannt bleibt: PSSM – die Polysaccharid-Speicher-Myopathie.


PSSM ist keine einzelne Erkrankung, sondern ein Sammelbegriff für Stoffwechselstörungen im Muskel, bei denen Glykogen (Zucker) nicht richtig verwertet wird. Viele Pferde wirken äußerlich gesund – die Krankheit zeigt sich oft nur durch diffuse Symptome wie Verspannungen, Leistungsschwäche, Probleme beim Reiten sowie Muskelabbau trotz Training.



Inhaltsverzeichnis






1. Wie funktioniert der Muskelstoffwechsel beim Pferd?

Der Muskelstoffwechsel beschreibt alle Prozesse, mit denen Muskelzellen Energie gewinnen, um sich zusammenzuziehen, zu entspannen und ihre Arbeit zu verrichten. Für Pferde ist ein effizienter Muskelstoffwechsel essenziell – egal ob im Training, beim Weidegang oder im Alltag.



Die wichtigsten Energiequellen:



  1. Kohlenhydrate (Glykogen und Glukose):


    • Glykogen ist die gespeicherte Form von Glukose in Muskeln und Leber.

    • Wird bei Bedarf schnell zu Glukose abgebaut und dann in den Muskelzellen zur Energiegewinnung genutzt.

    • Besonders wichtig für schnelle und intensive Belastungen (z. B. Sprint).


  2. Fette (Fettsäuren):


    • Hauptenergiequelle bei länger andauernder, moderater Belastung.

    • Fette werden in den Muskelzellen in den Mitochondrien (Kraftwerke der Zelle) verbrannt.

    • Erzeugt viel Energie, aber langsamer als Kohlenhydrate.


  3. Proteine (Aminosäuren):


    • Werden nur im Notfall als Energiequelle genutzt.

    • Wichtig für den Muskelaufbau und die Reparatur.



Wie läuft die Energieproduktion ab?



  • Aerobe Energiegewinnung (mit Sauerstoff):


    • Kohlenhydrate und Fette werden in den Mitochondrien verbrannt.

    • Hier entsteht viel Energie (ATP), die den Muskel mit Kraft versorgt.

    • Diese Art der Energiegewinnung ist effizient, aber braucht Sauerstoff.

    • Wichtig für Ausdauer und langanhaltende Belastungen.


  • Anaerobe Energiegewinnung (ohne Sauerstoff):


    • Wird bei sehr intensiven, schnellen Belastungen aktiviert, wenn nicht genug Sauerstoff vorhanden ist.

    • Glykogen wird schnell zu Milchsäure (Laktat) abgebaut.

    • Die Energie entsteht rasch, aber Milchsäure kann die Muskeln übersäuern und ermüden lassen.



Was passiert bei PSSM?


Bei PSSM wird die normale Speicherung und Nutzung von Glykogen gestört:


  • PSSM1: Mutation führt zu einer Überproduktion von Glykogen, das nicht richtig abgebaut wird. Die Muskeln lagern überschüssiges, „falsches“ Glykogen ein.

  • PSSM2: Andere, noch nicht klar definierte Fehler in der Glykogen- oder Muskelstruktur stören die Energieversorgung.


Das Ergebnis:


  • Muskeln bekommen nicht genug Energie, selbst wenn ausreichend Zucker da ist.

  • Es entstehen Muskelverspannungen, Schmerzen und im schlimmsten Fall Muskelabbau.


Warum ist das Verständnis des Muskelstoffwechsels wichtig?

Nur wenn wir verstehen, wie Muskeln normalerweise Energie erzeugen, können wir bei Erkrankungen wie PSSM gezielt eingreifen:


  • Die Fütterung so anpassen, dass die Muskeln möglichst viel Energie aus Fett statt aus Zucker gewinnen.

  • Durch gezieltes Training die Muskulatur stärken und Stoffwechselprozesse verbessern.

  • Stress und zu lange Ruhephasen vermeiden, die den Stoffwechsel negativ beeinflussen.


2. Was ist PSSM?

PSSM steht für Polysaccharid-Speicher-Myopathie. Dabei handelt es sich um eine Muskelstoffwechselerkrankung, bei der die Muskelzellen zu viel oder falsch gespeicherten Zucker (Glykogen) einlagern. Das beeinträchtigt die Energieversorgung in der Muskulatur – mit gravierenden Folgen:


  • Muskelversteifungen

  • Leistungseinbruch

  • Schmerzhaftes Festliegen

  • Rittigkeitsprobleme



Man unterscheidet zwei Hauptformen:


  • PSSM1: genetisch eindeutig durch Mutation im GYS1-Gen verursacht

  • PSSM2: nicht durch GYS1-Mutation erklärbar, vermutlich multifaktoriell oder andere Genvarianten beteiligt



3. PSSM Typ 1 (PSSM1) – Die genetisch gesicherte Form


Ursache:



  • Mutation im GYS1-Gen

  • Führt zu übermäßiger Glykogeneinlagerung in der Muskulatur



Betroffene Rassen:



  • Quarter Horses und verwandte Rassen

  • Warmblüter

  • Haflinger

  • Kaltblüter




Typische Symptome:



  • Steifheit beim Anreiten oder nach Ruhephasen

  • Muskelzittern, Schwitzen

  • Unlust zur Bewegung

  • Dunkel gefärbter Urin (Myoglobin)

  • In schweren Fällen: Festliegen oder Lahmheit




Diagnose:



  • Gentest (einfach durch Schweifhaaranalyse)

  • Ergebnis: n/n (frei), n/P1 (Träger), P1/P1 (erkrankt)




Therapie:



  • Kein Heilmittel – aber sehr gutes Management möglich

  • Zucker- und stärkearme Fütterung

  • Energie über Fettquellen (Öl, Reiskleie)

  • Tägliche Bewegung, keine langen Pausen

  • Konsequentes, aber sanftes Muskeltraining



4. PSSM Typ 2 (PSSM2) – Die komplexe Variante


Ursache:



  • Keine GYS1-Mutation

  • Ursache noch nicht vollständig geklärt

  • Möglicherweise andere genetische Veränderungen (P2, P3, P4 – umstritten)

  • Teils Überschneidungen mit Myofibrillärer Myopathie (MFM)




Typische Symptome:



  • Leistungsschwäche trotz Training

  • Rittigkeitsprobleme, Taktfehler, Verspannungen

  • Rückenschmerzen, Widersetzlichkeit unter dem Reiter

  • Muskelschwund oder asymmetrische Bemuskelung

  • Häufig wechselnde Lahmheiten




Diagnose:



  • Keine klare Genetik

  • Muskelbiopsie (histologisch) oft nötig

  • Ausschlussdiagnostik wichtig (Zähne, Sattel, Training)




Therapie & Management:



  • Eiweiß- und fettbetonte Fütterung mit Aminosäuren (v. a. Lysin)

  • Zuckerarme Ration

  • Supplementierung mit Vitamin E, Magnesium, evtl. Carnitin

  • Viel freie Bewegung, gezieltes Muskeltraining

  • Geduld und individuelles Management entscheidend



5. Diagnosemöglichkeiten bei PSSM


PSSM Typ 1 (PSSM1):



  • Gentest (GYS1-Mutation):


    • Einfach über Schweifhaare durchführbar

    • Ergebnis:


      • n/n: frei

      • n/P1: Träger

      • P1/P1: betroffen


    • Aussagekräftig & zuverlässig




PSSM Typ 2 (PSSM2):



  • Muskelbiopsie (Histologie):


    • Entnahme unter lokaler Betäubung

    • Nachweis von abnormen Glykogen- oder Faserveränderungen

    • Wichtig bei Verdacht auf MFM (Myofibrilläre Myopathie)


  • Gentests auf P2, P3, P4 usw.:


    • Umstritten in ihrer Aussagekraft

    • Nicht wissenschaftlich validiert (Stand 2024)




Weitere unterstützende Diagnostik:



  • Blutwerte:


    • Erhöhte Muskelenzyme (CK, AST) bei akutem Muskelschaden

    • Können zwischen den Schüben normal sein


  • Urinuntersuchung:


    • Dunkel gefärbter Urin (Myoglobin) bei Muskelabbau


  • Beobachtungen & Trainingstagebuch:


    • Wichtige Hinweise auf Verlauf und Trigger (z. B. nach Ruhetagen, bei Wetterumschwung)

    • Unterstützt die Einschätzung für Tierärzt:in und Trainer:in


  • Ausschlussdiagnostik:


    • Zähne, Sattel, Hufbalance, neurologische Erkrankungen abklären



6. Management, Fütterung und Bewegung


Egal ob PSSM1 oder PSSM2 – das richtige Management macht den Unterschied:



Fütterung:



  • Zucker- und stärkearm (kein Getreide, keine Melasse, keine Möhren in Mengen)

  • Hochwertiges Heu – analysiert, wenn möglich

  • Fettquellen zur Energieversorgung (z. B. Leinöl, Reiskleie)

  • Bei PSSM2: zusätzliche Aminosäuren (v. a. Lysin, Methionin), Vitamin E




Bewegung:



  • Täglich! Auch leichte Bewegung ist besser als gar keine

  • Langsames Aufwärmen

  • Rückenschonendes Training (z. B. Cavaletti, lockeres Longieren)

  • Keine langen Stehzeiten




Management:



  • Stress vermeiden

  • Individuelle Fütterung und Trainingspläne

  • Enge Zusammenarbeit mit Tierärzt:in und ggf. Physiotherapeut:in




7. Fazit: Leben mit PSSM ist möglich


PSSM ist nicht das Ende – sondern der Anfang einer bewussten, individuellen Betreuung deines Pferdes. Mit dem richtigen Wissen, konsequenter Fütterung und angepasstem Training können viele betroffene Pferde beschwerdefrei leben und sogar sportlich genutzt werden.


Der Schlüssel liegt in der frühen Erkennung und im täglichen Management – denn je besser du dein Pferd verstehst, desto mehr Lebensqualität kannst du ihm zurückgeben.



Im nächsten Teil (Teil 3) der Blogreihe geht es darum, wie Stoffwechselerkrankungen wie EMS oder Cushing muskuläre Probleme verursachen – also dann, wenn der Muskel „nur das Opfer“ ist.





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