Muskelerkrankungen beim Pferd – Teil 2: PSSM verstehen und managen
- Jessica Münch
- 15. Mai
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 5. Juni
Willkommen zum zweiten Teil meiner Blogreihe über Muskelerkrankungen beim Pferd.
Nachdem wir im ersten Beitrag die Rhabdomyolyse auch bekannt als Kreuzschlag, besprochen haben, widmen wir uns nun einer Muskelkrankheit, die vor allem genetisch bedingt ist und bei vielen Pferden unerkannt bleibt: PSSM – die Polysaccharid-Speicher-Myopathie.
PSSM ist keine einzelne Erkrankung, sondern ein Sammelbegriff für Stoffwechselstörungen im Muskel, bei denen Glykogen (Zucker) nicht richtig verwertet wird. Viele Pferde wirken äußerlich gesund – die Krankheit zeigt sich oft nur durch diffuse Symptome wie Verspannungen, Leistungsschwäche, Probleme beim Reiten sowie Muskelabbau trotz Training.
Inhaltsverzeichnis
1. Wie funktioniert der Muskelstoffwechsel beim Pferd?
Der Muskelstoffwechsel beschreibt alle Prozesse, mit denen Muskelzellen Energie gewinnen, um sich zusammenzuziehen, zu entspannen und ihre Arbeit zu verrichten. Für Pferde ist ein effizienter Muskelstoffwechsel essenziell – egal ob im Training, beim Weidegang oder im Alltag.
Die wichtigsten Energiequellen:
Kohlenhydrate (Glykogen und Glukose):
Glykogen ist die gespeicherte Form von Glukose in Muskeln und Leber.
Wird bei Bedarf schnell zu Glukose abgebaut und dann in den Muskelzellen zur Energiegewinnung genutzt.
Besonders wichtig für schnelle und intensive Belastungen (z. B. Sprint).
Fette (Fettsäuren):
Hauptenergiequelle bei länger andauernder, moderater Belastung.
Fette werden in den Muskelzellen in den Mitochondrien (Kraftwerke der Zelle) verbrannt.
Erzeugt viel Energie, aber langsamer als Kohlenhydrate.
Proteine (Aminosäuren):
Werden nur im Notfall als Energiequelle genutzt.
Wichtig für den Muskelaufbau und die Reparatur.
Wie läuft die Energieproduktion ab?
Aerobe Energiegewinnung (mit Sauerstoff):
Kohlenhydrate und Fette werden in den Mitochondrien verbrannt.
Hier entsteht viel Energie (ATP), die den Muskel mit Kraft versorgt.
Diese Art der Energiegewinnung ist effizient, aber braucht Sauerstoff.
Wichtig für Ausdauer und langanhaltende Belastungen.
Anaerobe Energiegewinnung (ohne Sauerstoff):
Wird bei sehr intensiven, schnellen Belastungen aktiviert, wenn nicht genug Sauerstoff vorhanden ist.
Glykogen wird schnell zu Milchsäure (Laktat) abgebaut.
Die Energie entsteht rasch, aber Milchsäure kann die Muskeln übersäuern und ermüden lassen.
Was passiert bei PSSM?
Bei PSSM wird die normale Speicherung und Nutzung von Glykogen gestört:
PSSM1: Mutation führt zu einer Überproduktion von Glykogen, das nicht richtig abgebaut wird. Die Muskeln lagern überschüssiges, „falsches“ Glykogen ein.
PSSM2: Andere, noch nicht klar definierte Fehler in der Glykogen- oder Muskelstruktur stören die Energieversorgung.
Das Ergebnis:
Muskeln bekommen nicht genug Energie, selbst wenn ausreichend Zucker da ist.
Es entstehen Muskelverspannungen, Schmerzen und im schlimmsten Fall Muskelabbau.
Warum ist das Verständnis des Muskelstoffwechsels wichtig?
Nur wenn wir verstehen, wie Muskeln normalerweise Energie erzeugen, können wir bei Erkrankungen wie PSSM gezielt eingreifen:
Die Fütterung so anpassen, dass die Muskeln möglichst viel Energie aus Fett statt aus Zucker gewinnen.
Durch gezieltes Training die Muskulatur stärken und Stoffwechselprozesse verbessern.
Stress und zu lange Ruhephasen vermeiden, die den Stoffwechsel negativ beeinflussen.
2. Was ist PSSM?
PSSM steht für Polysaccharid-Speicher-Myopathie. Dabei handelt es sich um eine Muskelstoffwechselerkrankung, bei der die Muskelzellen zu viel oder falsch gespeicherten Zucker (Glykogen) einlagern. Das beeinträchtigt die Energieversorgung in der Muskulatur – mit gravierenden Folgen:
Muskelversteifungen
Leistungseinbruch
Schmerzhaftes Festliegen
Rittigkeitsprobleme
Man unterscheidet zwei Hauptformen:
PSSM1: genetisch eindeutig durch Mutation im GYS1-Gen verursacht
PSSM2: nicht durch GYS1-Mutation erklärbar, vermutlich multifaktoriell oder andere Genvarianten beteiligt
3. PSSM Typ 1 (PSSM1) – Die genetisch gesicherte Form
Ursache:
Mutation im GYS1-Gen
Führt zu übermäßiger Glykogeneinlagerung in der Muskulatur
Betroffene Rassen:
Quarter Horses und verwandte Rassen
Warmblüter
Haflinger
Kaltblüter
Typische Symptome:
Steifheit beim Anreiten oder nach Ruhephasen
Muskelzittern, Schwitzen
Unlust zur Bewegung
Dunkel gefärbter Urin (Myoglobin)
In schweren Fällen: Festliegen oder Lahmheit
Diagnose:
Gentest (einfach durch Schweifhaaranalyse)
Ergebnis: n/n (frei), n/P1 (Träger), P1/P1 (erkrankt)
Therapie:
Kein Heilmittel – aber sehr gutes Management möglich
Zucker- und stärkearme Fütterung
Energie über Fettquellen (Öl, Reiskleie)
Tägliche Bewegung, keine langen Pausen
Konsequentes, aber sanftes Muskeltraining
4. PSSM Typ 2 (PSSM2) – Die komplexe Variante
Ursache:
Keine GYS1-Mutation
Ursache noch nicht vollständig geklärt
Möglicherweise andere genetische Veränderungen (P2, P3, P4 – umstritten)
Teils Überschneidungen mit Myofibrillärer Myopathie (MFM)
Typische Symptome:
Leistungsschwäche trotz Training
Rittigkeitsprobleme, Taktfehler, Verspannungen
Rückenschmerzen, Widersetzlichkeit unter dem Reiter
Muskelschwund oder asymmetrische Bemuskelung
Häufig wechselnde Lahmheiten
Diagnose:
Keine klare Genetik
Muskelbiopsie (histologisch) oft nötig
Ausschlussdiagnostik wichtig (Zähne, Sattel, Training)
Therapie & Management:
Eiweiß- und fettbetonte Fütterung mit Aminosäuren (v. a. Lysin)
Zuckerarme Ration
Supplementierung mit Vitamin E, Magnesium, evtl. Carnitin
Viel freie Bewegung, gezieltes Muskeltraining
Geduld und individuelles Management entscheidend
5. Diagnosemöglichkeiten bei PSSM
PSSM Typ 1 (PSSM1):
Gentest (GYS1-Mutation):
Einfach über Schweifhaare durchführbar
Ergebnis:
n/n: frei
n/P1: Träger
P1/P1: betroffen
Aussagekräftig & zuverlässig
PSSM Typ 2 (PSSM2):
Muskelbiopsie (Histologie):
Entnahme unter lokaler Betäubung
Nachweis von abnormen Glykogen- oder Faserveränderungen
Wichtig bei Verdacht auf MFM (Myofibrilläre Myopathie)
Gentests auf P2, P3, P4 usw.:
Umstritten in ihrer Aussagekraft
Nicht wissenschaftlich validiert (Stand 2024)
Weitere unterstützende Diagnostik:
Blutwerte:
Erhöhte Muskelenzyme (CK, AST) bei akutem Muskelschaden
Können zwischen den Schüben normal sein
Urinuntersuchung:
Dunkel gefärbter Urin (Myoglobin) bei Muskelabbau
Beobachtungen & Trainingstagebuch:
Wichtige Hinweise auf Verlauf und Trigger (z. B. nach Ruhetagen, bei Wetterumschwung)
Unterstützt die Einschätzung für Tierärzt:in und Trainer:in
Ausschlussdiagnostik:
Zähne, Sattel, Hufbalance, neurologische Erkrankungen abklären
6. Management, Fütterung und Bewegung
Egal ob PSSM1 oder PSSM2 – das richtige Management macht den Unterschied:
Fütterung:
Zucker- und stärkearm (kein Getreide, keine Melasse, keine Möhren in Mengen)
Hochwertiges Heu – analysiert, wenn möglich
Fettquellen zur Energieversorgung (z. B. Leinöl, Reiskleie)
Bei PSSM2: zusätzliche Aminosäuren (v. a. Lysin, Methionin), Vitamin E
Bewegung:
Täglich! Auch leichte Bewegung ist besser als gar keine
Langsames Aufwärmen
Rückenschonendes Training (z. B. Cavaletti, lockeres Longieren)
Keine langen Stehzeiten
Management:
Stress vermeiden
Individuelle Fütterung und Trainingspläne
Enge Zusammenarbeit mit Tierärzt:in und ggf. Physiotherapeut:in
7. Fazit: Leben mit PSSM ist möglich
PSSM ist nicht das Ende – sondern der Anfang einer bewussten, individuellen Betreuung deines Pferdes. Mit dem richtigen Wissen, konsequenter Fütterung und angepasstem Training können viele betroffene Pferde beschwerdefrei leben und sogar sportlich genutzt werden.
Der Schlüssel liegt in der frühen Erkennung und im täglichen Management – denn je besser du dein Pferd verstehst, desto mehr Lebensqualität kannst du ihm zurückgeben.
Im nächsten Teil (Teil 3) der Blogreihe geht es darum, wie Stoffwechselerkrankungen wie EMS oder Cushing muskuläre Probleme verursachen – also dann, wenn der Muskel „nur das Opfer“ ist.
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